TEAM
Regie: Ramin Anaraki
Bühne/ Video: Sami Bill
Kostüme: Diana Ammann
Dramaturgie: Kai Schmidt
Licht: Tom Friedl
Spiel: Malgorzata Walas-Antoniellomit, Angelika Fink, Gina Henkel, Iza Terek-Jopkiewicz
Uraufführung im Schwere Reiter am Mittwoch, 19. September 2012
Koproduktion mit dem Teatr Cinema, Piechowice-Michalowice (Polen)
Dass die „ganz großen Themen“ weg oder für die Kunst ihrer ständigen Wiederholung wegen verloren seien, wie im medialen Diskurs immer wieder behauptet wird, glauben wir nicht – und zitieren den
Regisseur und Autor Pier Paolo Pasolini: Die ganz großen Themen verschwinden nicht. Sie sind, ganz im Gegenteil, zu groß geworden. Um sie erkennen zu können, muss man auf Abstand gehen, die
Perspektive verändern. Um dann wieder ganz nah herankommen, schmerzhaft nah, damit ein Ausweichen oder darüber Hinwegsehen nicht mehr möglich ist. Umso reizvoller ist das, wenn wir den kritischen
und unverstellten Blick von Pasolini darauf lenken.
Mit dem Projekt DAS GASTMAHL startet PATHOS München gemeinsam mit dem Teatre Cinema aus Michalowice (PL) eine Untersuchung für das Theater. Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang, nachdem
es Menschen verschiedener Kultur und Herkunft – aus Polen und Deutschland – an einen Tisch und dazu gebracht hat, über die vorgenannten großen Themen zu sprechen: miteinander und mit anderen, mit
zufälligen Bekanntschaften, mit zeitweiligen Weggefährten, mit anonymen Dritten. Inhalte und Ästhetiken zweier Pasolini-Filme aus den 1960er Jahren1 werden Inspiration und Grundlage des Projektes
sein, in dem Dokumentation und Fiktion, Realismus und Zeichenhaftigkeit, Alltag und Allegorie einander gegenüber stehen.
Die Akteure versuchen im jeweils anderen Land herauszufinden, ob sich eine tatsächliche Aufklärung in einer scheinbar durchsexualisierten Welt durchgesetzt hat. Darin folgen sie den strukturellen Vorgaben in Pasolinis Dokumentation „Gastmahl der Liebe“. Sie werden sich auf die Suche machen und Menschen zu Wort kommen lassen; sie werden deren Wünschen, Hoffnungen, Verletzungen und Sorgen Raum geben. Der Spielfilm „Teorema“ setzt dieser Durchlässigkeit seine tatsächlich geometrische Strenge entgegen und gibt dem Projekt eine ästhetische und inhaltliche Orientierung. Pasolini spielte hier mit dem Schein und Sein, mit dem Erhalt von Fassaden, dem Zwang bürgerlicher Moral und der Verdrängung von Wahrheiten. Der Film spiegelt im Zerfall einer bourgeoisen Familie den tatsächlichen Zustand einer Gesellschaft, die sich unaufhaltsam auf den Abgrund zu bewegt.
DAS GASTMAHL nimmt seinen Auftakt in diesem Sommer 2012, wenn in Polen (und in der Ukraine) das Kommerzspektakel Fußballeuropameisterschaft veranstaltet wird. Im Vorfeld beobachten wir noch aus
sicherer Distanz, wie sich das Ereignis, das als erstes dieser Art und Größe im vormaligen Ostblock stattfindet, in der öffentlichen Wahrnehmung breitmacht. Wir erfahren, dass Schattenbranchen
wie Prostitution und Drogenhandel ungeheure Auswüchse verzeichnen. Die Versuche einer kapitalismuskritischen Opposition, einen Widerspruch gegen diese Form systematischer Okkupation zu
formulieren, können wir aus der Ferne nur dann wahrnehmen, wenn sie entsprechend telegen platziert sind – wie etwa die Manifestationen der Femen-Aktivistinnen in Kiew, Davos, Paris und
Istanbul.
Um diese Spannungen zu erspüren, bereist das Team wenige Tage nach dem EM-Finale Polen: Ein dann mit seiner Zukunft zurück gelassenes Land, das nach der unwirklichen und vor allem medial
geschürten Euphorie allmählich Abstand nehmen und einen Weg in den Alltag finden muss. Die Kooperation mit dem Teatre Cinema ermöglicht es, eine tatsächliche Nähe zu den Menschen im Land
herzustellen und sprachliche Hindernisse zu überwinden. Die vier Schauspielerinnen (je zwei aus Deutschland und Polen) werden in diesem Projekt von einer Pasolini-Figur begleitet. Einem alten
Mann, der dem Hype der Moderne, der kollektiven Aufregung seine Nüchternheit und elegante Distanz entgegenzusetzen vermag. Ein Weiser eben, der aus allen Dingen vielleicht absichtslos Erkenntnis
gewinnt und sich dadurch massiv von den jüngeren Generationen unterscheiden darf.
Der (erwachsene) Pasolini war Humanist und Kommunist in einem nach zwei Weltkriegen und Jahren des Faschismus zerrissenen Land. Er war bekennender Homosexueller und gläubiger Katholik, er lebte
zwischen allen Welten und suchte nach Wahrheiten für sein eigenes Leben. Er wäre im März dieses Jahres 90 Jahre alt geworden. Die politischen Umwälzungen der vergangenen drei Jahrzehnte hat er
nicht mehr erlebt, er wurde 1975 ermordet. DAS GASTMAHL sieht keine Reanimation vor, von einer biografischen Erkundung ist das Projekt weit entfernt: Uns interessiert vielmehr das Handwerk des
großen Künstlers. Und dass seine Themen auf eine faszinierende Art die Themen der Jetztzeit geblieben sind: Der tatsächliche Zustand einer Gesellschaft, die sich unaufhaltsam auf den Abgrund zu
bewegt.
Im September 2012 werden wir in München das Recherchematerial, die Ergebnisse von Untersuchungen und Begegnungen zu einem semidokumentarischen Theaterabend formen. In einem vom Videokünstler Sami
Bill und der Kostümbildnerin Diana Ammann gestalteten Raum in der Spielstätte Schwere Reiter, der den Ereignissen Transparenz und dem Spiel sehr viel Platz geben wird.